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Interview mit Tatiana Koleva

geführt von Evgeniya Kavaldzhieva
aus dem Englischen übersetzt von Paul Grathwohl
 
Du hast heute den Ruf einer sehr vielseitigen Marimbaspielerin. Wenn wir in die Vergangenheit blicken, sehen wir, dass Du bei Dobri Paliev, Robert van Sice, Wim Vos, Steven Schick, James Wood studiert hast. Denkst Du, dass Deine Arbeit mit so vielen verschiedenen Künstlern zu Deiner heutigen vielfältigen Aktivität beigetragen hat?
 
Während meines Hauptstudiums als Studentin an der Musikhochschule lernte ich bei Prof. Dobri Paliev, Robert van Sice und Wim Vos. Allerdings hatte ich großes Glück, dass ich auch regelmäßig mit James Wood und Steve Schick in Kontakt war und mit ihnen arbeitete - sowohl in Kursen und während ihrer Aufenthalte als reguläre Gastlehrer am Konservatorium in Rotterdam, als auch zweimal während der Darmstädter Ferienkurse.
Alle diese Lehrer haben für mich wirklich viel bedeutet, als Studentin und Person, und mich in meiner musikalischen und künstlerischen Ausrichtung sehr stark beeinflusst.
Allerdings glaube ich auch, dass ein Teil der Entwicklung eines jungen Studenten von seiner Klasse abhängt, dem Kontakt mit anderen Instrumentalisten, Kollegen und Komponisten und der allgemeinen, kreativen Umgebung der Schule und der Stadt. Für mich war es ein wirklich wichtiger und interssanter Prozess, die Chance zu haben, ein Teil einer großen internationalen Klasse in Rotterdam zu sein und später am Königlichen Konservatorium von Den Haag meine Studien fortzusetzen.
 
Du bist eine Musikerin, die gerne experimentiert. Deine erste CD "Knock on Wood" basiert auf Deinem Projekt "marimba-extended". Kannst Du uns erklären, was genau "marimba-extended" bedeutet?
 
Nun, "marimba-extended" ist ein Begriff, den ich von dem bekannten niederländischen Komponisten Louis Andriessen angenommen habe: Vor einigen Jahren assistierte ich ihm bei der Komposition seines Solostücks "Woodpecker" für den International TROMP Schlagzeug Wettbewerb (www.trompinternational.nl) hier in den Niederlanden. In diesem Stück benutzt er einen Satz von gestimmten Temple und Wood Blocks und er legte besonderen Wert darauf, dass sie als "extension" (Erweiterung) der Marimba fungieren. In der gleichen Zeit bereitete ich ein neues Solo Programm vor, in dem ich ebenfalls Marimbastücke mit gestimmten Thai Gongs hatte, ein anderes Stück mit einem vorher aufgenommen Marimba Sound Track, einer Marimba und einem vollen Percussion Set mit zusätzlichen Instrumenten, die per Pedal gespielt wurden ... und auf diese Weise bekam die ganze Konzeption eine klarere Gestalt.
Ich liebe Marimba Solo und das Repertoire, das wir alle spielen, aber ich mag es weiter zu experimentieren, indem ich neue und unübliche Stücke in Auftrag gebe. Das Ergebnis ist eine sehr intensive Zusammenarbeit mit den Komponisten und manchmal komme ich dadurch in ziemlich herausfordernde Situationen, die ich rund um die Marimba lösen muss. Nichtsdestotrotz - es macht wirklich Spaß und es gibt endlose Möglichkeiten.
 
Vier Frauen, vier Instrumente, vier Nationalitäten - das ist ELECTRA - Deine Gruppe. Das klingt sehr aufregend. Bitte, erzähle uns mehr darüber.
 
ELECTRA "passierte" im Den Haager Konservatorium. Ich wurde gefragt eine Flötenspielerin in ihrer Abschlussprüfung zu begleiten und die Chemie funktioniert so gut - ausgehend von dieser Zusammenarbeit wuchs die Idee für das Ensemble: Flöte, Mallets / Percussion, Gesang und Violine. Wir entwickelten über die Jahre ein hochvirtuoses Ensemble mit unüblicher Inszenierung, eingefügten Theaterelementen, Film und Video, Verstärkung, zusätzlichen Instrumenten wie elektrische Violine und Keyboards, Elektronik ... in einer Art eine Band, aber andererseits mit lauter Kompositionen Neuer Musik, speziell für uns zugeschnitten und komponiert. Unser erstes großes Projekt war "The New Math's" mit Musik von Louis Andriessen und einem Film des New Yorker Filmproduzenten Hal Hartley. Seit damals treten wir bei großen Festivals und Veranstaltungsorten in den USA, Kanada und Europa auf.
An dieser Gruppe liebe ich die Kombination von vier Solisten mit komplett verschiedenen musikalischen Hintergründen, Persönlichkeiten und Instrumenten. Jede von uns bringt ihre eigene Kultur mit, obwohl wir alle in den Niederlanden leben und arbeiten. In gewisser Hinsicht ist diese Gruppe teilweise ein Resultat davon: Hier in Holland ist die Ensemble-Kultur sehr stark entwickelt; neben unsere Solo Aktivitäten spielen wir alle in führenden Ensembles und sind an vielen verschiedenen Projekten beteiligt. Mit vier Frauen zu arbeiten ist manchmal ganz schön schwierig (wie man sich vorstellen kann), aber das macht es umso besonderer und kraftvoller und wir haben eine tolle Zeit zusammen. Das führte zu unserer neuen CD/DVD "ELECTRA: Able to be" die im letzten Dezember (2007) beim Attacca Label erschienen ist. (www.electranewmusic.com)
 
Du spielst Duo mit Rutger van Otterloo - Saxophon. Gibt es genug Literatur für ein solches Ensemble oder arbeitet Ihr mit Komponisten, die Duos für Euch schreiben?
 
Es wird mehr und mehr Musik für diese Kombination geschrieben. In unserem Fall allerdings machen wir beides: Wir beauftragen Komponisten, die speziell für uns komponieren, aber wir improvisieren auch und machen unsere eigenen Arrangements. Wir kombinieren gerne unsere verschiedenen Kulturen und musikalischen Herkünfte (Jazz / Improvisation / Experimentalmusik gegenüber klassischer, zeitgenössischer Musik). Dadurch wird gewissermaßen eine neue Art des Musizierens erzeugt, mit der Freiheit der Improvisation und den Anforderungen von streng komponierten modernen Stücken. Wir entwickeln unser Repertoire in enger Zusammenarbeit mit hervorstehenden Komponisten sowie Jazz / Rock Musikern und folgen in dieser Weise der modernen Tendenz, die Grenzen zwischen verschiedenen Stilen, Genres und Kulturen zu überschreiten. Das Ergebnis ist moderne, zeitgenössische Musik, die massiv von Jazz, Rock und Weltmusik beeinflusst ist. Es bedeutet auch, dass wir sowohl in Sälen für klassische / moderne Musik auftreten, als auch in Clubs, bei großen Festivals und alternativen Veranstaltungsorten.
Und noch eine CD Ankündigung: Wir haben gerade unsere erste CD in einem tollen neuen Studio in Osnabrück - Fattoria Musica - aufgenommen und wir planen, sie innerhalb der nächsten Monate herauszubringen.
 
Du bist nicht nur Solistin und Kammermusikerin. Die Öffentlichkeit sieht Dich auch in Theaterproduktionen als Musikerin und Schauspielerin. Wie fühlt es sich an, eine so vielseitige Künstlerin zu sein?
 
Vor allem ist es eine herausfordernde, aber fantastische Erfahrung. Ich persönlich liebe die Bühne und die Bewegung und ich denke, dass das Publikum ein Percussion Konzert sowohl hörend als auch sehend erlebt: Ist es nicht faszinierend einen einzelnen Künstler zu sehen, der ein enormes Setup von verschiedenen Objekten bedient, musiziert und sie alle dabei wie ein Instrument klingen lässt?
Theaterdirektoren und Choreographen lieben das und beziehen oft live Percussion Auftritte in ihre Produktionen ein. Ja, für unsere Rolle als Musiker müssen wir offen und flexibel sein. Das ist auch eine künstlerische Aufgabe, da die Musik oft derart integriert werden muss, dass sie im gesamten Werk bestmöglich funktioniert. Manchmal erfordert das von beiden Seiten Kompromisse, weshalb ich es inzwischen vorziehe an Projekten teilzunehmen, die gerade neu beginnen - gleichzeitig mit Komposition und Regie, so dass ich von Beginn an bei den musikalischen und künstlerischen Entscheidungen involviert bin.
 
Während der letzten Jahre hast Du mit dem Filmmuseum Amsterdam gearbeitet. Was ist an diesem Projekt interessant?
 
Am interessantesten finde ich die Verknüpfung von alt und neu. Das Filmmuseum in Amsterdam ist ein sehr interessanter Ort: In seinen Archiven kann man alles über den Beginn und die Geschichte des Films finden. Was sie ebenso versuchen, ist für diese Archive zu werben, indem sie alte Stummfilme mit Live Musik zeigen (wie es ja früher gemacht wurde), und oft wählen sie dafür zeitgenössische Musik.
Ungefähr vor sechs Jahren starteten sie ein neues Festival: "Filmmuseum Bienalle", bei dem sie ihre Archive benutzen und neue Produktionen, Shows, Konzerte, Tanz Performances präsentieren. Ich wurde eingeladen zu verschiedenen ihrer Filme Musik zu spielen und eines der letzten Projekte war die große Produktion "Sonic Lens" - ein theatralisches Event, das unidentifizierte Fragmente aus der "Bits & Pieces" Sammlung des Museums als Basis benutzte. Die Bilder wurden in Echtzeit von der Musik von Frances-Marie Uitti (Cello) und mir transformiert, wobei Liveelektronik benutzt wurde und wir mit einem VJ (Musikvideojockey) interagierten.
 
Mit Deiner Erfahrung als Dozentin vieler Meisterkurse, was wäre Dein Rat für junge Musiker?
 
Wie Du vielleicht von den obigen Antworten gemerkt hast, bin ich wirklich mit vielen verschiedenen Aktivitäten rund um die Marimba und Percussion beschäftigt. Das Ergebnis ist ein sehr intensiver und vielseitiger, aber herausfordernder Lebensstil. Um das Vollzeit zu machen, musst du deinen Beruf und die Musik, die du spielst, wirklich lieben. Und du musst wirklich an die Botschaft glauben, die du als Musiker und Künstler vermitteln willst.
Ratschläge? Folge Deinem Instinkt und interessiere Dich für alles, das Dir musikalisch und künstlerisch begegnet: Höre Dir Aufnahmen und Konzerte aus jedem Bereich an; gehe in Museumsausstellungen und Theaterpremieren, schaue Dir die neuesten Kunstformen, Filme und Tanzproduktoinen an; sei da, fühle, höre, erfahre und hab Spaß. Gestalte Deine eigene musikalische Welt und kreiere Deine eigene Linie darin. Und natürlich: Nimm Dir Zeit, viel Zeit für Dein Instrument; wähle eine gute Schule und benutze jede Sekunde in ihr, um Wissen und Ideen zu sammeln, Fehler zu machen und zu experimentieren. Lerne und vertraue den Empfehlungen Deiner Lehrer: Dein Instrument und Dein eigenes musikalisches Gehör gibt Dir die besten Antworten.
 
Du lebst bereits seit vielen Jahren in Holland, hast aber nie Deine Wurzeln vergessen. Bitte erzähle uns etwas über Deine Aktivitäten in Bulgarien.
 
Vielen Dank, dass Du mir diese Frage stellst, da das immer ein sehr emotionales und aufregendes Thema für mich ist: Viele Jahre in den Niederlanden zu leben, ein Land in dem moderne Kunst und Musik so weit entwickelt sind, gab mir die Möglichkeit wundervolle Musiker und Künstler zu treffen. Es ist wirklich großartig, ein Leben aufbauen zu können, das es mir erlaubt als professionelle Musikerin zu arbeiten, zu reisen und die Musik aufzuführen, die ich liebe. Und ich finde es jetzt sehr wichtig, ein Stück diese Erfahrung zurück nach Bulgarien zu bringen, es an Kollegen und Studenten weiterzugeben.
Wahrend der vergangen Jahre wurde ich regelmäßig eingeladen bei den zwei großen Festivals aufzutreten: Bei den March Music Days und dem Varna Summer Festival. Letztes Jahr (2007) war außerdem sehr besonders für mich, da ich als "Artist in Residence" zum berühmten internationalen Festival Sofia Musik Weeks eingeladen wurde. Mit all diesen Institutionen habe ich eine sehr intensive Zusammenarbeit etabliert, die uns zum Austausch von Projekten führte und zu Besuchen von weltweit bekannten, führenden Künstlern, Ensembles und Pädagogen. Das alles war nur möglich dank der freundlichen Unterstützung verschiedener Stiftungen, Sponsoren und Organisationen aus den Niederlanden, Deutschland und Mexiko.
Ich bin auch sehr, sehr glücklich, dass in Bulgarien mehr und mehr Veranstaltungen rund um Percussion und Marimba stattfinden. Meiner Meinung nach eine der einflussreichsten und interssantesten Veranstaltungen ist der internationale Percussion Wettbewerb PENDIM (www.pendim.com), der 2009 seine sechste Auflage haben wird. Der Veranstalter (und Percussionlehrer) Pentcho Pentchev schaffte es zusammen mit der großen Hilfe eines anderen exzellenten Bulgarischen Percussionisten, Alexander Kamenarov, die Aufmerksamkeit, den Enthusiasmus und die Unterstützung von Künstlern und Lehreren anzuziehen wie Peter Sadlo, Katarzyna Mycka, Li Biao und andere.
Im Wettbewerb 2007 war ich neben meiner Tätigkeit als Jury Mitglied auch als Special Guest und Repräsentantin von Concorde Marimba und Pustjens Percussion Products eingeladen - die Firma PPP (www.pustjenspercussion.nl) aus Amsterdam: Sie stellten einen Lastwagen voll mit Instrumenten zur Verfügung und so hatte der Wettbewerb eine wirklich exzellente Basis für die mehr als 60 Teilnehmer. Ich persönlich war sehr glücklich, dass dieses Unternehmen so gut klappte, da sie sich ja das nötigen Ausmaß an Organisation und Kosten für so ein Projekt vorstellen können.
Ich möchte nicht verheimlichen, dass jeder meiner Besuche in Bulgarien ein hochemotionales und unvergessliches Erlebnis wird. Es ist harte und herausfordernde Arbeit, aber den ganzen Aufwand wert, da sich mehr und mehr junge Percussionisten aus Bulgarien großartig entwickeln, internationale Preise gewinnen und erfolgreiche Auftritte in den weltweiten Konzertsälen haben.
Und ganz persönlich - ich würde gerne meine große Freude und Dankbarkeit für das bulgarische Publikum äußern: Dank seiner Stimmen und Nominierungen gewann ich gerade vor ein paar Wochen den Preis des nationalen Radios von Bulgarien und des Programms Allegro Vivace als Musikerin des Jahres für "all-round musical activities and significant contribution to European integration of Bulgarian culture" (umfassende musikalische Aktivitäten und signifikante Beiträge zur Integration bulgarischer Kultur in Europa).
 
Vielen Dank für das Interview und die besten Wünsche für die Zukunft!
 
 
 
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